Viele Menschen berichten von einem Abnehmstillstand, obwohl sie „eigentlich sehr wenig essen“. Schnell fällt dann der Begriff „Hungermodus“ oder „Sparmodus“. Gemeint ist damit die Vorstellung, dass der Körper irgendwann „keine Reserven mehr hergeben will“.
Die Wahrheit ist differenzierter:
Fazit vorab
- Eine metabolische Anpassung ist real. Bei längerem Kaloriendefizit sinkt der Energieverbrauch messbar – über das hinaus, was allein durch den Gewichtsverlust erklärbar wäre.
- Diese Anpassung kann zur Verlangsamung der Abnahme beitragen, insbesondere wenn gleichzeitig die Alltagsbewegung sinkt oder Wasserschwankungen die Waage beeinflussen.
- Ein vollständiger „Stopp“ der Fettabnahme durch zu wenig essen ist wissenschaftlich nicht belegt.
- Wenn die Energiebilanz tatsächlich negativ bleibt, wird weiter Körpermasse abgebaut – jedoch teilweise langsamer.
- Die metabolische Anpassung fällt meist deutlich geringer aus, als oft angenommen. Sie ist kein „Blockier-Modus“, sondern eine Effizienzreaktion.
- GLP-1/GIP-Medikamente wie Mounjaro oder Ozempic erleichtern das Einhalten eines Defizits, verändern aber die grundlegende physiologische Anpassungsreaktion nicht.
Was genau ist der Hungermodus (adaptive Thermogenese)?
Der Körper ist darauf programmiert, Energie zu bewahren, wenn länger weniger Energie verfügbar ist. Diese Reaktion ist evolutionär sinnvoll – aber nicht dramatisch.
Was passieren kann:
- Der Ruheumsatz sinkt etwas stärker, als man allein durch den Gewichtsverlust erwarten würde (aber nicht massiv).
- Die spontane Alltagsbewegung (NEAT) nimmt oft unbewusst ab → weniger Schritte, weniger Körperspannung, weniger kleine Bewegungen.
- Hormonelle Signale (z. B. Leptin) verändern sich → der Körper wird energieeffizienter.
Das heißt: Der Körper „schaltet nicht ab“ – sondern optimiert seinen Verbrauch.
Das Ziel ist Energiesparen, nicht Fettabbau verhindern.
Und: Diese Anpassung tritt nicht bei jeder Diät gleich stark auf.
Sie kann ausgeprägter sein, wenn:
- Das Kaloriendefizit sehr groß ist.
- Die Diät sehr lange dauert.
- Wenig Eiweiß gegessen wird.
- Keine Kraftreize gesetzt werden (Muskelverlust → Ruheumsatz sinkt).
Sie ist geringer, wenn:
- Das Defizit moderat ist.
- Protein ausreichend ist.
- Krafttraining die Muskulatur erhält.
- Alltagsbewegung bewusst stabil gehalten wird.
Wie stark sinkt der Energieverbrauch nach der Abnahme?
Nach einer Gewichtsabnahme benötigt der Körper weniger Energie. Bei einigen Menschen fällt dieser Rückgang jedoch etwas stärker aus, als man allein durch das geringere Körpergewicht erklären könnte. Die Größenordnung dieser Anpassung liegt typischerweise ungefähr bei ~80–200 kcal/Tag, kann aber je nach Körpergröße, Diätlänge, Fettmasse und Muskelverlust variieren.
Leichter Bereich (häufig):
- etwa 50–100 kcal/Tag zusätzlich weniger Energieverbrauch
- → vor allem nach langsamer Abnahme und beginnender Stabilisierung
Mittlerer Bereich (bei schnellerer oder größerer Abnahme):
- etwa 80–200 kcal/Tag weniger
- → häufig, solange Körper und Appetitregulation sich noch neu einpendeln
Seltene ausgeprägte Fälle:
- 300–500+ kcal/Tag weniger
- → vor allem nach sehr großen oder sehr schnellen Gewichtsverlusten
- → eher Ausnahme als Standard
Verlauf über die Zeit
- Die adaptive Thermogenese ist meist vorübergehend
- Sie kann sich über Wochen bis Monate zurückbilden
- Bei manchen normalisiert sie sich schneller, bei anderen langsamer
Wichtige Einordnung
- Die meisten Menschen liegen langfristig ungefähr im Bereich 50–150 kcal/Tag
- Ausgeprägte Formen kommen vor, sind aber nicht die Norm
- Es handelt sich um eine biologische Anpassungsreaktion —
- keine Frage von Disziplin oder Willenskraft
Warum „zu wenig essen“ die Abnahme nicht grundsätzlich stoppt
Die Abnahme folgt weiterhin dem Grundprinzip der Energiebilanz:
Wird über eine längere Zeit weniger Energie aufgenommen, als verbraucht, verliert der Körper Masse.
Was sich ändert, ist die Geschwindigkeit:
- Bei moderaten Defiziten: gleichmäßiger, gut steuerbarer Fettabbau
- Bei sehr großen Defiziten: schnellerer Gewichtsverlust, aber stärkere metabolische Anpassung und höherer Risikoanteil von Muskelverlust
Die Fettabnahme stoppt aber nicht einfach – sofern das Defizit real und nicht nur gefühlt besteht.
Sie wird erschwert, wenn:
- zu wenig Eiweiß konsumiert wird,
- Alltagsbewegung deutlich sinkt,
- oder Wasserschwankungen kurzfristig den Gewichtsverlauf überdecken.
Auch in Studien mit sehr geringer Kalorienzufuhr kam es stets zu weiterem Gewichtsverlust. Was sich allerdings änderte, war die Geschwindigkeit und die Zusammensetzung der verlorenen Masse.
Das bedeutet:
- Ja, man kann sehr wenig essen und trotzdem nicht schnell abnehmen.
- Aber nein, der Körper verhindert die Abnahme nicht aktiv.
Es geschieht eher folgendes:
- Muskeln gehen schneller verloren → Ruheumsatz sinkt.
- Wasser kann den Fortschritt maskieren.
- Abnahme wirkt zäher, ist aber weiter vorhanden.
Warum können sich Phasen wie „Stillstand“ anfühlen?
Ein Abnehmstillstand bedeutet nicht automatisch, dass kein Fettabbau stattfindet. Die folgenden Faktoren können den Fortschritt verdecken:
- Wasser- und Glykogenhaushalt (z. B. Zyklus, Stress, Salz, Training)
- verringerte Alltagsbewegung, ohne dass es auffällt
- Unterschätzung der tatsächlichen Kalorienaufnahme (sehr gut dokumentiert in Studien)
- leichter Verlust an fettfreier Masse, der den Ruheumsatz zusätzlich senkt
In der Summe kann das reale Defizit kleiner sein als geplant, sodass es subjektiv „wie Stillstand“ wirkt, obwohl physiologisch weiterhin Veränderung stattfindet – nur langsamer und teils maskiert.
Der Sparmodus in Studien – verständlich erklärt
Minnesota-Studie (sehr starke Kalorienreduktion)
- → Gewicht und Körperfett sanken kontinuierlich, trotz deutlicher Senkung des Ruheumsatzes.
- → Ergebnis: Stoffwechselanpassung ja – Abnahme ging weiter.
- https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0002916523137051
CALERIE-Langzeitstudien (moderate Reduktion über Monate bis Jahre)
- → Stoffwechsel passte sich messbar an (Energieverbrauch etwas geringer).
- → Die Abnahme war langsamer, aber beständig, wenn das Defizit eingehalten wurde.
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27440551
„Biggest Loser“-Nachbeobachtungen (sehr große Abnahme, sehr große Defizite)
- → Ruheumsatz dauerhaft niedriger als erwartet → große adaptive Thermogenese.
- → Trotzdem: Wer später ein Defizit hielt, nahm weiter ab.
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27001853
Doubly-Labeled-Water-Messungen (realistische Alltagsmessungen)
- → Viele Menschen unterschätzen ihre Kalorienaufnahme deutlich.
- → Ein „gefühltes“ Defizit ist nicht immer ein reales.
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12949364
Wie GLP-1-Medikamente den Prozess beeinflussen
Medikamente wie Ozempic oder Mounjaro:
- reduzieren Appetit & Essdrang → das Defizit ist leichter einzuhalten
- verlängern die Sättigung
- können die Fettoxidation begünstigen
- verhindern die Stoffwechselanpassung nicht weil diese Anpassung primär eine Reaktion auf geringere Energiezufuhr und geringere Körpermasse ist – beides bleibt auch unter GLP-1 relevant.
Sie helfen also nicht, den Sparmodus „auszuschalten“ – aber sie helfen, real im Defizit zu bleiben (die Reaktion des Körpers bleibt grundsätzlich gleich).
Wie man gesund & wirksam durch Plateaus geht
- Moderates Defizit statt „so wenig wie möglich“
- → Ziel: ~300–600 kcal unter Bedarf
- Protein priorisieren
- 1,6–2,2 g/kg Zielgewicht, um Muskeln & Sättigung zu unterstützen
- Krafttraining 2–3x/Woche
- → schützt den Ruheumsatz
- Alltagsbewegung bewusst halten
- → Zielwerte (z. B. 7–10k Schritte) sind hier wichtiger als „Workout-Burn“
- Verlauf statt Tageswerte betrachten
- → 14-Tage-Durchschnitt + Taillenumfang messen
Fazit
Der sogenannte Hungermodus (adaptive Thermogenese) ist kein Mythos, aber anders als oft dargestellt:
- Er kann die Abnahme verlangsamen, besonders bei sehr großen Defiziten oder langer Diätdauer – aber er stoppt sie nicht, solange tatsächlich ein Energiedefizit besteht.
- Ein Stillstand auf der Waage bedeutet nicht automatisch, dass kein Fortschritt stattfindet.
- Solange die Energiebilanz negativ bleibt, setzt sich die Abnahme fort – manchmal sichtbar, manchmal verdeckt, aber physiologisch unvermeidlich.
Die Lösung liegt nicht in „noch weniger essen“, sondern in präzisem Defizit, Protein, Erhalt von Muskelmasse und Bewegung im Alltag.
Quellen
- Adaptive Thermogenese nach Gewichtsverlust – Übersicht
- Minnesota-Starvation-Experiment – starke Restriktion, Abnahme bleibt bestehen
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0002916523137051
- CALERIE-Langzeitstudien – moderate Kalorienreduktion & Stoffwechselanpassung
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27440551
- „Biggest Loser“ Follow-Up – große adaptive Thermogenese, Abnahme weiter möglich
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27001853
- Metabolische Anpassung & Abnahmegeschwindigkeit – Martins et al.
https://nutritionandmetabolism.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12986-021-00587-8
- Untererfassung der Kalorienaufnahme – Doubly-Labeled-Water Daten
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12949364
- Tirzepatid / Mounjaro – Fettoxidation↑, Anpassung nicht verhindert
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40203836
Hinweis: Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und stellt keine medizinische Beratung, Diagnose oder Therapieempfehlung dar. Er ersetzt nicht das persönliche Gespräch mit Ärzt*innen oder anderen qualifizierten Gesundheitsfachpersonen. Medikamente wie Ozempic®, Wegovy® oder Mounjaro® sind verschreibungspflichtige Arzneimittel und sollten nur nach ärztlicher Rücksprache und unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden.











