Viele erleben unter GLP-1-/GIP-Injektionen wie Mounjaro® (Tirzepatid) oder Ozempic® (Semaglutid) weniger Appetit und deutlich weniger Essdruck. Gleichzeitig berichten einige, dass sich ihre Stimmung verändert – manche fühlen sich ausgeglichener, andere eher gedrückt. Dieser Artikel fasst die aktuelle Studienlage zusammen und erklärt, worauf man achten sollte, besonders bei gleichzeitiger Einnahme von Psychopharmaka.
Fazit vorab
- Behörden sehen derzeit keinen Hinweis, dass GLP-1-Medikamente wie Ozempic® oder Mounjaro® direkt Suizidgedanken auslösen. Dennoch wird empfohlen, auf Veränderungen der Stimmung zu achten.
- Studien zu Semaglutid (Ozempic®/Wegovy®) zeigen kein erhöhtes Risiko für depressive Symptome oder Suizidgedanken – in manchen Auswertungen sogar ein niedrigeres Risiko als bei anderen Medikamenten.
- Auch die gesamte Wirkstoffgruppe (GLP-1 und GIP, z. B. Tirzepatid/Mounjaro) zeigt in großen Untersuchungen keine Zunahme psychischer Risiken. Einige Einzelfälle wurden gemeldet, werden aber nur weiter beobachtet, ohne dass ein Zusammenhang bewiesen ist.
- Bei gleichzeitiger Einnahme von Psychopharmaka kann sich die Wirkung verändern, da GLP-1-Medikamente die Magenentleerung verlangsamen. Deshalb sollten Einnahmezeit und Wirkung ärztlich überprüft werden.
- Wenn Süßes oder stark verarbeitete Snacks wegfallen, fehlen dem Gehirn kurzfristig gewohnte Belohnungsreize. Das kann für einige Tage zu Reizbarkeit, Heißhunger oder gedrückter Stimmung führen – meist normalisiert sich das schnell wieder.
Wie sich weniger Essen auf die Psyche auswirken kann
- Wirkung im Gehirn: GLP-1-Signale dämpfen Appetit und Food Noise. Gleichzeitig senken sie die Anziehungskraft von „Belohnungsessen“ (z. B. sehr Süßes). Das ist hilfreich gegen Heißhunger – kann sich aber anfangs emotional „flach“ anfühlen.
- Weniger Zucker = weniger „Kick“: Sehr süße, stark verarbeitete Lebensmittel aktivieren das Belohnungssystem. Fällt das weg, berichten viele für 2–5 Tage über Traurigkeit, Müdigkeit, Reizbarkeit. Das ist kein Versagen, sondern eine Übergangsphase.
- Weitere Einflussfaktoren: Schneller Gewichtsverlust, zu wenig Kalorien/Protein, Schlafmangel, Stress, Alkohol, Zyklus – all das kann die Stimmung unabhängig vom Medikament drücken.
Studienlage zu Psyche unter GLP-1-/GIP-Medikamenten
- GLP-1-Medikamente erhöhen das Risiko für Suizidgedanken nicht.
- Große Bevölkerungsstudien zeigen keine auffällige Häufung solcher Fälle im Vergleich zu anderen Medikamenten.
- Semaglutid (Ozempic/Wegovy) war in großen Datensätzen sogar mit einem geringeren Risiko verbunden.
- Menschen, die Semaglutid bekamen, berichteten seltener Suizidgedanken als Personen mit anderen Abnehm- oder Diabetesmitteln.
- Europäische Behörden sehen keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Semaglutid und psychischen Problemen.
- Nach umfassender Prüfung wurden keine Hinweise auf eine direkte Wirkung auf Depression oder Suizidgedanken gefunden.
- Die US-Arzneimittelbehörde empfiehlt lediglich, auf die Stimmung zu achten.
- Es gibt bisher keine Belege für einen Zusammenhang, aber Beobachtung bleibt wichtig.
Update on FDA’s evaluation of reports of suicidal thoughts or actions with GLP-1 RAs – FDA (2024)
- Einzelne Datenbanken zeigen Warnsignale, die aber nicht beweisen, dass die Medikamente die Ursache sind.
- Diese Signale bedeuten nur, dass das Thema weiter erforscht werden sollte.
- Mehrere Übersichtsarbeiten bestätigen, dass GLP-1-Mittel die Psyche in der Regel nicht verschlechtern.
- Zusammenfassungen aus vielen Studien zeigen kein erhöhtes Risiko für Depression oder Suizidalität.
- GLP-1-Wirkstoffe beeinflussen das Belohnungssystem im Gehirn.
- Sie können den Reiz von stark süßen Lebensmitteln abschwächen – das hilft gegen Heißhunger, kann sich aber anfangs emotional ungewohnt anfühlen.
Glucagon-like peptide-1 agonist and effects on reward processing – Physiology & Behavior (2024)
- Beim Weglassen sehr süßer oder stark verarbeiteter Lebensmittel kann es vorübergehend zu Stimmungstiefs kommen.
- In Studien berichten Teilnehmende über einige Tage mit Müdigkeit, Reizbarkeit und Lustlosigkeit – ähnlich wie bei Entzugserscheinungen.
Development of the Highly Processed Food Withdrawal Scale – Appetite (2018)
- Für Tirzepatid (Mounjaro/Zepbound) gibt es bisher keine Hinweise auf psychische Risiken.
- Die Studienlage ist kleiner, zeigt aber kein auffälliges Risiko für Depression oder Suizidgedanken.
Psychopharmaka und GLP-1-Medikamente: Worauf sollte man achten?
- Resorption: Durch die langsamere Magenentleerung kann die Aufnahme von oralen Antidepressiva/Antipsychotika zeitlich verschoben sein. Beobachte Wirkbeginn, Wirkungsschwankungen, Nebenwirkungen und dokumentiere – immer in Absprache mit dem Arzt.
- Einnahme & Dosiserhöhung: Langsam aufdosieren, Energie & Protein sichern, ausreichend trinken/schlafen. Das stabilisiert Stimmung und beugt „Downs“ vor.
- Keine Alleingänge: Nicht abrupt absetzen – weder GLP-1-Mittel noch Psychopharmaka. Änderungen ärztlich abstimmen.
Wenn der „Belohnungseffekt“ fehlt: Was hilft in der Übergangszeit?
- Realistische Erwartung: 2–5 Tage müde/gereizt ist häufig – das vergeht. Plane diese Phase bewusst ein.
- Sanftere Belohnungen: Proteinreiche Snacks, Ballaststoffe, Spaziergänge, Musik, Sozialkontakt – Dinge, die kurz gute Gefühle geben, ohne Zucker-Peak.
- Struktur statt Verzichtsradikalismus: Regelmäßige Mahlzeiten, ausreichend Eiweiß (ca. 1,2–1,6 g/kg), elektrolyt-/flüssigkeitsreich trinken, Schlaf priorisieren.
- Flexibel bleiben: „Ganz oder gar nicht“ führt oft zu Frust. Langsam reduzieren statt „alles verbieten“.
FAQ
- Können Ozempic/Mounjaro Depression „auslösen“?
Belegt ist das nicht. Große Analysen finden keinen kausalen Zusammenhang. Trotzdem: Achtsam bleiben und bei neuen/wachsenden Symptomen ärztlich melden.
- Ich nehme SSRI/SNRI – geht das zusammen?
In der Praxis oft möglich. Wegen verlangsamter Magenentleerung können Einnahmezeiten und Wirkung anders sein. Dokumentieren & ärztlich abstimmen.
- Warum fühle ich mich schlechter, wenn ich Süßes weglasse?
Weil schnelle Belohnungsreize wegfallen. Kurzfristig sind Tiefs & Gelüste normal; sie lassen nach. Nährstoffbasis und neue kleine Belohnungen helfen.
Kurz-Leitfaden für die Praxis
- Vor Beginn der Behandlung sollte eine psychische Vorgeschichte besprochen und eine vollständige Medikamentenliste, inklusive Verhütungsmittel, überprüft werden.
- In den ersten vier Wochen ist es hilfreich, ein Stimmungstagebuch zu führen und auf ausreichend Energie, Protein, Schlaf und Alltagsstruktur zu achten.
- Bei Warnzeichen wie anhaltender Niedergeschlagenheit, Angst, Schlafstörungen, sozialem Rückzug oder Suizidgedanken sollte sofort ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Bei akuter Gefahr gilt der Notruf.
- Bei gleichzeitiger Einnahme von Psychopharmaka sollten Einnahmezeiten überprüft und Änderungen niemals eigenständig, sondern immer in Absprache mit Ärztin oder Arzt vorgenommen werden.
Quellen
- FDA: Update on FDA’s evaluation of reports of suicidal thoughts or actions with GLP-1 RAs (2024)
- EMA-PRAC: No causal association between semaglutide and suicidal thoughts (2024)
- Nature Medicine: Association of semaglutide with risk of suicidal ideation in a real-world cohort (2024)
- The BMJ: GLP-1 receptor agonists and risk of suicidality among patients with type 2 diabetes (2025)
- The Lancet eClinicalMedicine: Suicide and suicide attempt in users of GLP-1 receptor agonists (2025)
- JAMA Network Open: Disproportionality Analysis From WHO Data on Suicidal and Self-Injurious Adverse Drug Reactions (2024)
- Wiley: Association of GLP-1 Receptor Agonists With Risk of Suicidal Ideation or Behavior – Systematic Review and Meta-analysis (2025)
- Physiology & Behavior: Glucagon-like peptide-1 agonist and effects on reward processing (2024)
- Appetite: Development of the Highly Processed Food Withdrawal Scale (2018)
- BMJ Drug & Therapeutics Bulletin: Tirzepatid and oral contraceptives – interaction overview (2025)
- Zepbound® Medication Guide – Official US Prescribing Information (2025)
Hinweis: Dieser Artikel dient ausschließlich der Information und ersetzt keine medizinische Beratung oder Behandlung. Medikamente wie Ozempic® und Mounjaro® sind verschreibungspflichtig. Off-Label-Anwendungen erfolgen stets auf eigenes Risiko und sollten nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.











